Position
Berlin – 23. September 2022
Schöne neue Bahnwelt auf der Berliner Messe Innotrans, sehnsüchtiges Warten auf ein 9-Euro-Anschlussticket, immer mehr CO2-freie Linienbusse: Auf einen flüchtigen Blick ist der Öffentliche Verkehr auf dem richtigen Weg. Doch er verliert immer weiter den Rückhalt der Bundespolitik, die sich im Chaos der Energiekrise verstrickt.
„Mehr Fortschritt wagen” – unter dieser Prämisse ist die Ampelkoalition zum Beginn ihrer Regierungszeit angetreten. Viele goldene, „staatstragende” Worte, aber auch viele konkrete Vorschläge, es anders, besser zu machen, enthält der Koalitionsvertrag. Ein Beispiel: „Wir werden die öffentliche Infrastruktur, öffentliche Räume und Netze modernisieren und dafür Planung, Genehmigung und Umsetzung deutlich beschleunigen. Auch die Wirtschaft soll in der Verwaltung einen Verbündeten haben”, heißt es in dem Papier der drei Regierungsparteien. Die Umsetzung indes kommt nicht voran. Ob Streckenelektrifizierungen oder digitale Infrastruktur – Planungen und Projekte stecken überall wie bisher im tiefen Sumpf der Zuständigkeiten und Vorschriften. Die Verwaltung ist kein Verbündeter der Wirtschaft, die Bürokratie ist eher der erklärte Gegner der Unternehmen, der bremst, wo er nur kann. Und inzwischen sogar Firmen in die Insolvenz treibt.
Das Hin und Her um die Nachfolge des 9-Euro-Tickets im Ping-Pong zwischen Bundes- und Länderverkehrsministern zeigt deutlich den zähen, steinigen Weg für einen besseren ÖPNV. Alle sind sich einig, dass ein wie auch immer ausgestattetes Ticket über Tarif- und Verbundgrenzen hinweg die Attraktivität von Bussen und Bahnen auf einen Schlag verbessert: die Politiker in ihren unverbindlichen Statements sowieso, aber auch zigtausende Kunden, die dies in den Marktuntersuchungen zum 9-Euro-Ticket zu Protokoll gaben. Doch es tut sich nichts. Wenn es um die Finanzierung geht, machen alle die Schotten dicht. Es entsteht der Eindruck, dass die Koalitionäre längst nicht mehr die große Sache Klimaschutz als Ziel haben, sondern ideologisch beschränkt Klientelinteressen durchzusetzen versuchen. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da der Druck auf fossilen Energiequellen immer weiter steigt!
Das Kapitel „Mobilität” im Koalitionsvertrag fasst eindrucksvoll zusammen, welche Schritte von der Infrastrukturfinanzierung bis zur Förderung technischer Innovationen erforderlich sind, um eine Mobilitätswende zu erreichen. Längst nicht alle Ideen davon sind offensichtlich in den von Energiepreissprüngen gestressten Politikerköpfen noch vorhanden. Ein Beispiel nur ist der Deutschlandtakt. Zuvor noch gepriesen als die Zukunft des attraktiven Bahnreisens, werden jetzt schon wieder in den Etat-Beratungen die Finanzmittel für den Ausbau der überlasteten Knotenbahnhöfe und Fernstrecken in Frage gestellt. Dabei zeigt doch gerade die gegenwärtige chaotische Performance der Staatsbahn DB, wie elementar die Modernisierung und Weiterentwicklung des Netzes wäre. Wer hier Abstriche macht, gefährdet jeden Tag den Klimaschutz.
Immer nur auf die Politik zu zeigen, ist aber nicht fair. Wir alle, die Gesellschaft also, tun herzlich wenig, um die Dekarbonisierung zu fördern. Es ist halt so vertraut und bequem, auto-mobil zu sein! Und geläufig ist das Argument, man würde ja mit Bus und Bahn fahren wollen, doch das Angebot sei – noch – nicht gut genug. Das mag mancherorts zutreffend sein, insbesondere auf dem Land. Doch in den Ballungszentren der Republik, ließe sich manch tägliche Fahrt mehr mit dem ÖPNV abwickeln, wenn man nur wollte. Das wäre wohl im Sinne der regierungsamtlich ausgerufenen „sozialökonomischen Transformation”. Erschreckend ist stattdessen, dass nicht einmal die dramatisch zunehmenden Staus auf Autobahnen und wichtigen Stadtstraßen zu einem Umdenken führen.
Österreichs Hauptstadt Wien wird dann immer als leuchtendes Beispiel einer ÖPNV-Metropole angeführt: Tolles Verkehrsnetz mit schnellen Bahnen, 365-Euro-Ticket, verkehrsberuhigte City-Flaniermeilen. Was nicht übersehen werden darf: Dafür hat Wien rund drei Jahrzehnte zielstrebig hohe Summen investiert. Und damit sind wir wieder beim deutschen Dilemma. Solange Politik und Behörden nicht ernsthaft den Öffentlichen Verkehr als Motor der klimaneutralen Mobilität betreiben, wird das nichts.
ÜBER DEN AUTOR
Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.
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