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Berlin – 20. Februar 2020
Politik kann über Parteigrenzen hinweg schnell, direkt und effizient sein: Das demonstrierten zwei führende Verkehrspolitiker auf dem 2. F.A.Z.-Mobilitätsgipfel in Berlin. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Verkehrsausschuss-Vorsitzender Cem Özdemir (Grüne) versprachen vor gut 250 Verkehrsexperten aus Verbänden, Unternehmen und Behörden per Handschlag, beim Ausbau von Schiene und Radwegenetzen gemeinsam für die Vereinfachung von kompliziertem Planungsrecht zu streiten.
Auf dem Weg zur klimaneutralen Verkehrswende gibt es viel guten Willen und interessante Ideen, aber auch schwerwiegende Hemmnisse von lähmender Bürokratie bis zum stark ausgeprägten Bürgerwillen, keine Veränderungen im unmittelbaren Umfeld zu akzeptieren. Das machte die Konferenz unter dem Motto „Mobilität in Deutschland – Städtischer Verkehr erfindet sich neu” einmal mehr facettenreich deutlich. Zu Experten-Vorträgen und Podiumsdiskussionen hatten die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) und die Initiative „Deutschland mobil 2030“ gemeinsam mit ihren Partnern ADAC, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) eingeladen.
Scheuer: Verkehrswende nicht über „Verzicht und Verbote“ realisierbar
In seiner Begrüßung erklärte F.A.Z.-Herausgeber Gerald Braunberger: „Wir leben in einer Republik, die mobil sein will, aber vielfach blockiert ist.” Minister Scheuer versuchte, darauf Antworten zu geben. Er machte klar, dass er die Mobilitätswende nicht über „Verzicht und Verbote” anstrebe. „Die Freiheit der Mobilitätsentscheidungen erhalten”, war sein Credo, und das mit einem ÖPNV, der durch Qualität überzeuge, nicht unbedingt durch einen Nulltarif. Das untermauerte VDV-Präsident Ingo Wortmann im Verlauf der Veranstaltung: Kostenloser Nahverkehr würde den Steuerzahler 12 bis 13 Milliarden Euro jährlich zum Ausgleich der fehlenden Einnahmen kosten – „ein dauerhafter Klotz in den Haushalten”. Besser angelegt sei das Geld in Infrastrukturinvestitionen und in die durch mehr Verkehr entstehenden Betriebskosten. Auch Gilles Dostert, Generaldirektor des Luxemburger Verkehrsverbundes, machte deutlich, dass der ab März im Großherzogtum angebotene kostenlose Nahverkehr „nur die Kirsche auf der Torte” sei. Dahinter stünden massive Investitionen in die Verkehrsnetze – um die eigenen Bürger und die Pendler aus den benachbarten Ländern mit hoher Angebotsqualität zum Umsteigen vom Auto zu bewegen. Anders als in deutschen Großstädten liegt der Anteil der Fahrgeldeinnahmen an den Kosten des ÖPNV in Luxemburg lediglich bei knapp zehn Prozent und ist somit schon weitgehend steuerfinanziert.
Özdemir: „Mit Angst und Verzagtheit kriegen wir die Transformation nicht hin“
Minister Scheuer sprach sich weiterhin für eine positive Grundeinstellung sowie eine technologieoffene Diskussion von Innovationen für die Mobilität aus – mit „langem Atem” bei der Erprobung neuer Ideen: „Wir müssen experimentierfreudig sein”. Das bejahte auch Cem Özdemir: „Mit Angst und Verzagtheit kriegen wir die Transformation nicht hin.” Dem Optimismus der Berliner Politik setzte dann Christian Pegel, Energie- und Verkehrsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, praktische Erfahrungen mit umweltgerechter Verkehrspolitik entgegen. Einen Radweg parallel zu einer bestehenden Straße zu bauen, dauere aufgrund des komplexen Planungsrechtes drei bis sieben Jahre. Und wenn dann auch noch ein bestehender Bahnübergang um einen solchen Radweg ergänzt werden soll, ist sogar ein aufwändiges Planfeststellungsverfahren erforderlich: „Da müssen wir entschlacken. Wir brauchen ein deutliches Abrüsten der Regeln.”
Weitere Planungsbeschleunigungsgesetze sollen im Bundestag durchgesetzt werden
Ein ähnlich unsinnig erscheinendes Beispiel hatte auch Verkehrspolitiker Özdemir parat: Bei der Elektrifizierung von Bahnstrecken ist gesetzlich ebenfalls ein viele Jahre dauerndes Planfeststellungsverfahren erforderlich. Markus Lewe, Vizepräsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister von Münster, verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die Bürger in den Städten mit wachsender Ungeduld auf die umweltgerechte Mobilität warten. Die schwierigen Planungs- und Genehmigungsprozesse führten zu einem wachsenden Vertrauensverlust der Politik. Aus der Diskussion entwickelte sich ein lebhafter Schlagabtausch zwischen Verkehrsminister und Verkehrsausschuss-Vorsitzendem – mit überraschenden Konsequenzen: Beide erklärten, dass sie gemeinsam weitere Planungsbeschleunigungsgesetze im Bundestag durchsetzen wollen, um Ausbaumaßnahmen bei der Bahn und bei Radwegen mit vereinfachten Rechtsverfahren schneller als bisher zu realisieren. In einem Jahr wollen Scheuer und Özdemir eine Erfolgsbilanz vorlegen.
„Riesige Produktivitätssteigerung“ durch Kooperation von Planung und Bauausführung
Neben den rechtlichen Hürden sind bekanntlich die fehlenden Planungskapazitäten in Ingenieurbüros und Ämtern ein reichlich Zeit kostendes Hemmnis bei der Weiterentwicklung der Verkehrssysteme. Matthias Jacob, Vizepräsident Technik des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, empfahl, die heute klare Trennung zwischen Planung und Bauausführung zugunsten von „partnerschaftlichen Abwicklungsmodellen” aufzuheben: „Da ist eine riesige Produktivitätssteigerung drin.” ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze warnte vor einer „Verteufelung des Autos”. Wer von Pendlern das Umsteigen auf den ÖPNV fordere, müsse ihnen erst einmal die Chance geben, tatsächlich umsteigen zu können. Natürlich könnten autonome Verkehrsangebote hilfreich sein, doch „die sind noch nicht so weit”. Tendenziell bedeute öffentlicher Verkehr künftig auch, dass intelligent organisierte On-demand-Minibusse Individualverkehr ersetzen können, erläuterte Dr. Tom Kirschbaum, Gründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups door2door. Aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel, erwiderte VDV-Präsident Wortmann: „Flexible Bedürfnisse gibt es nicht umsonst.” Aber wo sie einen leer fahrenden Bus ersetzten, sehe die Rechnung schon anders aus.
In einer weltweiten Tour d’Horizon stellte Dr. Chloë Voisin-Bormuth vom Pariser Think Tank „La Fabrique de la Cité” Mobilitätslösungen von Montreal bis Singapur vor. Ihr tröstliches Fazit: „Die Diskussion in Deutschland ist schon sehr weit."
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