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Brennpunkt Mobilitätswende

Schluss mit dem „Weiter so”

Position
Berlin – 06. Dezember 2021

Der Koalitionsvertrag der künftigen Ampel-Regierung lässt erwarten, dass die Berliner Politik künftig mit mehr Nachdruck als bisher die Verkehrswende für den Klimaschutz ansteuert. Sie muss nicht bei null anfangen: Von der Planungsbeschleunigung bis zur Öffnung neuer Finanzierungsquellen gibt es bereits Grundlagen für besseren Öffentlichen Verkehr. Ausgerechnet in dieser Phase legt die vom Bundesverkehrsministerium initiierte „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität” einen überraschenden „Ergebnisbericht” vor: Der ist ausgesprochen „autolastig”. Das Ampel-Bündnis wird hoffentlich gegensteuern.

„Mobilität von morgen ganzheitlich gestalten” – das ist der nicht gerade geringe Anspruch der Nationalen Plattform. Sie ist ein Gremium aus Managern, Bundesbeamten und Wissenschaftlern, an dessen Spitze mit dem langjährigen SAP-Vorstand Henning Kagermann eine illustre Wirtschaftsgröße steht. Auf fast 80 Berichtsseiten bilanzieren sechs Arbeitsgruppen drei Jahre Aktivität. Sie beleuchten in vielerlei Hinsicht die Elektromobilität auf der Straße. Angetrieben sind sie sicher von der Erkenntnis, dass der massenhafte Individualverkehr mit weitem Abstand der CO2-Produzent Nummer 1 ist. Und dass ohne E-Autos eine effiziente Einschränkung der Treibhausgas-Emissionen aus dem Verkehr auf lange Zeit Illusion bleibt.

Nicht zu den Ergebnissen des Berichtes zählt eine Auseinandersetzung mit der Problematik und den Zielen der Mobilitätswende. Die Erwähnung des Schienenverkehrs als Alternative zum längst ausgeuferten Individualverkehr auf der Straße erscheint selten in diesem Report und eher floskelhaft, blutarm. Zwar taucht der Begriff „Verkehrsverlagerung” von der Straße auf die Schiene an mehreren Stellen auf, doch entsteht der Eindruck einer Alibi-Funktion, denn es fehlt jegliche tiefergehende Betrachtung. Und das Wort „Verkehrsvermeidung” lässt sich selbst mit der Suchfunktion des Rechners in dem Bericht überhaupt nicht auftreiben. Geschweige denn, dass Überlegungen zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens – immerhin ein nicht unwesentlicher Aspekt des Klimaschutzes – mal wenigstens angedacht wären.

Die Nationale Plattform ist offenbar von der Idee geleitet, die Zukunft der Mobilität voll und ganz auf der Straße zu erreichen. Als gäbe es keine ins Chaotische gehenden Stau-Probleme, als entdeckten nicht immer mehr Kommunen die Lebensqualität nicht motorisierter Flaniermeilen. Das scheint kein Zufall zu sein. Das ARD-Politikmagazin „Report Mainz” recherchierte in diesem Frühjahr „direkte oder indirekte Verbindungen” des rund 200 Köpfe zählenden Expertengremiums zur Automobilindustrie und zur Mineralölwirtschaft. So bleibt der Ergebnisbericht nicht ohne Widerspruch. Der Radfahrer-Club ADFC, die Allianz pro Schiene, die Umweltschützer im BUND, der Deutsche Städtetag, der VDV sowie die amtierende Vorsitzende der Länderverkehrsminister-Konferenz, die Bremer Senatorin Maike Schäfer, stellten in bemerkenswerter Gemeinsamkeit fest, sie seien zwar auch an den Gesprächen beteiligt gewesen. Doch der fertige Bericht sei von einem „Weiter so” beim automobilen Lebensstil geleitet und vermeide eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen Verkehrsvermeidung und der Schaffung lebenswerter Städte.

Unfassbar bleibt, wie ein derartig einseitiger Bericht der Nationalen Plattform überhaupt zustande kommen konnte. Die kürzlich beim Glasgower Klimagipfel immer wieder zutage tretende Wut der Klimaschützer über die weltweite politische Arroganz und Ignoranz der Regierenden in Sachen Ökologie kann kaum noch überraschen. Landauf, landab beklagen bei uns Politiker, dass den Bürgern die Einsicht zur Verkehrswende fehle und deshalb Infrastruktur-Projekte reihenweise blockiert werden. Aber wo sind die klaren Aus- und Ansagen auf Regierungs- und Oppositionsbänken mit einem nachdrücklichen Eintreten für eine Mobilität ohne Treibhausgase und mit mehr Lebensqualität?
So bleibt die Hoffnung, dass die neue Bundesregierung mit dem „Weiter so” in der Verkehrspolitik konsequent Schluss macht. Der Koalitionsvertrag mit seiner Maßgabe, „mehr Fortschritt zu wagen”, und mit seinen detaillierten Vorschlägen für die klimafreundliche Mobilität von morgen sollte ein Indiz dafür sein, dass die künftige Regierung Scholz das Thema endlich mit Elan und Aufrichtigkeit anpackt.

Foto: Eberhard Krummheuer

ÜBER DEN AUTOR

Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.

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