Position
Berlin – 20. April 2022
Corona ist nicht ausgestanden, der brutale Krieg im Osten verschlägt uns jeden Tag den Atem – und der Klimaschutz? Der köchelt auf ganz kleiner Flamme vor sich hin, als ließe sich die Erderwärmung erst einmal aufschieben.
Orkane, Flutkatastrophe, sommerliche Hitze und Dürre, Gletscherschmelze von den Alpen bis nach Grönland: Doch zugleich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der Pkw-Zulassungen in Deutschland unvermindert steigt, und das vorzugsweise im gehobenen SUV-Segment. Wenig beruhigend: Auch die übrige Menschheit außerhalb unserer Republik schert sich nicht oder nur wenig um den CO2-Ausstoß. Oder lügt sich und uns was in die Tasche. Das ist immerhin ein wutentbrannter Vorwurf von keinem geringeren als dem UNO-Generalsekretär António Guterres an die Adressen von Regierungen und Unternehmen!
Haben wir im aktuellen Umfeld überhaupt eine realistische Chance, Klimaneutralität im Verkehr durch die Mobilitätswende zu erreichen? Unverdrossen mutig das Motto einer Tagung der VDV-Akademie Anfang April in Köln: „Fit machen für die Mobilitätswende”. Da sprach dann Kölns prominente Oberbürgermeisterin Henriette Reker und entschuldigte sich quasi dafür, dass die Stadtpolitik in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg die City „autogerecht” gestaltet hatte. Das ist offensichtlich gut gelungen. So gut, dass die Bürger – nicht nur in Köln – nach wie vor auf das eigene Auto setzen, immerwährenden Staus und Parkplatznöten zum Trotz. Ach ja, da gibt es ja auch noch den Klimaschutz, aber wen interessiert das schon wirklich.
Weg von der autozentrierten Stadt
Der immer wieder gepriesene „Umweltverbund”, also das Volk derer, die zu Fuß gehen, Rad fahren oder Busse und Bahnen nutzen, kommt gegen die Qualitäten des Autos nicht, optimistisch gesehen, noch nicht an. Selbst in den Metropolen mit kurzen Wegen und dichten ÖPNV-Angeboten, ist der Anteil des Motorisierten Individualverkehrs, des „MIV”, erschreckend hoch. Die Politik hat wenig begriffen, wenn sie eilfertig die Benzinsteuer senkt, nur weil der Literpreis plötzlich über die Zwei-Euro-Grenze explodierte. Wie kontraproduktiv dieses Wahlgeschenk ist, wurde in unseren Krisenzeiten schon reichlich an anderer Stelle kommentiert.
Bleiben wir alle auf dem absteigenden Ast oder sitzen wir auf jenem anderen Ast, den wir selbst absägen? Frau Reker will das offensichtlich verhindern. Sie baut ihre kölsche Stadtbürokratie um, hat ein „Mobilitätszukunftskonzept” vor Augen. Sich an der Leistungsfähigkeit des MIV orientieren, ist dabei ein Zielgedanke. So, wie die Münchner lokale Verkehrspolitik erreichen will, dass die Bürger*innen ihre Autos verkaufen. Aber schon wenn es darum geht, die Stellplatzmiete für den Autoparkplatz nahe der Haustür auf realistische Höhen anzuheben, gibt es neben dem Aufschrei der Betroffenen sofort auch politisches Gerangel.
Der ÖPNV als tragende Säule
Unsere deutsche Welt ist so zögerlich, so unentschlossen geworden und bekommt nur noch wenig gebacken. Das gilt nicht nur für Panzer-Lieferungen, sondern für jedwede Veränderung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch die Mobilitätswende ist davon unmittelbar betroffen. Wer sich bei der VDV-Akademie anhören konnte, welche Absurditäten den Bau von Infrastrukturen für die Zukunft lahm legen oder hindern – namentlich im so genannten Artenschutz –, sucht leider vergeblich die Leute, die die Ärmel hochkrempeln und anpacken. Und es gibt so viele, die sich – siehe oben – was in die Tasche lügen. Nur ein Beispiel: Wer glauben machen will, dass mit der massenhaften Verbreitung des Elektroautos im MIV in zehn Jahren alle Klimaschutzsorgen gelöst sind, hat übersehen, dass es dafür auf Jahre an regenerativer, an sauberer Energie für die Fahrzeugakkus fehlen wird. Ja, dann brauchen wir für die Mobilitätswende auch die Energiewende – nicht nur, um im politischen Fanal auf Gas russischer Provenienz verzichten zu können.
Der Ausbau des ÖPNV wird eine tragende Säule der Mobilität der Zukunft sein müssen. In den Ballungsräumen sowieso. Mehr Busse und Bahnen statt Pkw sind ein entscheidender Beitrag zur Lebensqualität im großstädtischen Umfeld. Das hat im Übrigen nicht nur Frau Reker verstanden. Doch die Politik und auch die Bürger*innen tun sich schwer. Und auf dem Land? Ist das ohne Auto denkbar? Umfragen zeigen: Wenn man über das Smartphone für seine Wünsche ein passendes Mobilitätsangebot schnell herbeirufen kann, wird der eigene fahrbare Untersatz eher entbehrlich. Also: die große Chance für sicherlich weiter zu entwickelnde On-Demand-Angebote, für Car Sharing und Ridepooling. Und vielleicht für Systemlösungen, die man heute noch gar nicht sieht. Autonomes Fahren ist hier ein entscheidendes Stichwort, sonst wird es unbezahlbar.
So oder so: die Politik muss ihre Zaghaftigkeit ablegen, konsequent die Richtung vorgeben und diese dann auch mit der legislativen Ordnungsmacht der Parlamente und Regierungen durchsetzen. Und notfalls den Bürger mit Nachdruck zum Umdenken bringen. Der Preis ist dafür stets ein gutes Argument, wenn man ihn denn anhebt. Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif und nicht schmerzfrei, genauso wenig wie das Corona-Ende und den Schutz vor imperialistischen Diktatoren.
ÜBER DEN AUTOR
Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.
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