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BRENNPUNKT VERKEHRSWENDE

MÜHSAMES UMDENKEN

Position
Berlin – 31. Januar 2020

Wer die Verkehrswende will, muss auf breiter Front Mentalität für die neue Mobilität wecken. 365-Euro-Jahrestickets und selbst kostenloser Nahverkehr sind zu kurz gedacht.

Augsburgs Tram schaffte es kurz nach Weihnachten in die „Tagesschau”. „Einsteigen und losfahren, ganz ohne Ticket” – das ist das Motto in der City-Zone. In den vielfältigen Diskussionen landauf, landab um die Attraktivität des ÖPNV ist den Augsburgern eine ganz eigene Idee gekommen: Mitten in der Stadt – und nur dort – gibt es seit Jahresbeginn Busse und Bahnen zwischen neun Haltestellen zum Nulltarif. Die Vorstellung von Stadt, Stadtwerken und Verkehrsverbund: So lässt sich der Parkraum-Suchverkehr in der Innenstadt reduzieren, und mit ihm die CO2-Belastungen. Damit wächst die Hoffnung: Weniger Autos machen die City attraktiver, für die Bürger, für den Handel.

Ein bisschen Bus und Bahn zum Nulltarif

Selbst ein bisschen Bus und Bahn zum Nulltarif statt pauschaler Großzügigkeit mit der Gießkanne sind für die Stadtwerke als Verkehrsunternehmen nicht zum Nulltarif zu haben. Ein hoher sechsstelliger Betrag pro Jahr ist für Einnahmeausfälle und Kosten kalkuliert. Der Steuerzahler wird es zahlen müssen. Es ist ein Schnupperangebot, das auch eingefleischte Autofahrer zum Nachdenken bringen kann – ein erster Schritt, mal ganz freiwillig Alternativen zum Auto auszuprobieren. Ein erster Schritt zum Umdenken hin zu neuer Mobilität – ob daraus ein überzeugendes Modell für die Verkehrswende werden kann, wird allerdings von Fachleuten angezweifelt.

Im ganz großen Stil probiert ab März das Nachbarland Luxemburg den Nulltarif aus. Im gesamten Großherzogtum, das unter den motorisierten Pendlerströmen im Lande sowie aus Belgien, Deutschland und Frankreich erstickt, wird der Nahverkehr dann kostenlos angeboten. Was man wissen muss: Schon bisher wurde der Nahverkehr in Luxemburg zu 90 % aus öffentlichen Geldern bezahlt. Der Schritt hin zur kompletten Kostenübernahme ist also verhältnismäßig klein. Auch hier kann jeder probieren, ob er dafür das Auto stehen lassen kann. Er muss es aber nicht, denn Restriktionen für den Individualverkehr sind vorerst nicht vorgesehen. Großzügig geplant ist aber der Ausbau der ÖPNV-Systeme: Sie sollen so überzeugend gut sein, dass sich neue Mobilitäts-Mentalität mit der Zeit ganz von selbst einstellen könnte. Das reiche Luxemburg kann es sich leisten, darauf zu warten.

Mehr Qualität statt kleine Preise

Doch reichlich Geld in die Qualität von Bussen und Bahnen zu stecken, erscheint auch hierzulande sinnvoller, als über billige Tickets neue Fahrgäste gewinnen zu wollen. Das zeigen erste Erfahrungen, etwa in Bonn. In den politischen Diskussionen um das 365-Euro-Ticket werden immer zwei Dinge vergessen. Erstens: Die ausfallenden Fahrgeldeinnahmen muss irgendwer dauerhaft bezahlen. Zweitens: Erst ein umfassender Ausbau des ÖPNV schafft die Voraussetzungen für eine Verkehrswende-Mentalität. Luxemburg macht es vor. Pro Kopf der Bevölkerung fließt fast das Zehnfache dessen in den Nahverkehr, was hierzulande, umgerechnet auf jeden Bürger, investiert wird.

Foto: Eberhard Krummheuer

Über den Autor

Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.

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