Zur Website
Direkt zum Inhalt Direkt zur Hauptnavigation

Autonome Fahrzeuge: Ein Konkurrenzmodell zum ÖPNV?

Future
Berlin – 09. März 2020

Autonome Mobilitätsmodelle sind eng mit einer Vision verknüpft: weniger Unfälle, weniger Staus und weniger Fahrzeuge. Doch welche Effekte sind auf die bestehenden Strukturen des ÖPNV zu erwarten, wenn sich fahrerlose Shuttles auf den Straßen ausbreiten?

Die jüngsten Erfolge diverser Autohersteller stimmen die Industrie zuversichtlich, dass in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren der technologische Fortschritt sichere und markttaugliche autonomer Systeme erlaubt. Diese Entwicklung würde eine radikale Revolutionierung des persönlichen Mobilitätsverhalten bedeuten. Wie genau diese Vision aussehen kann, formuliert eine Studie von Deloitte aus dem Jahr 2019. Die Ergebnisse des Consulting-Unternehmens legen dar, dass eine grundsätzliche Offenheit gegenüber autonomen Mobilitätsangeboten besteht – wenn die Sicherheit der Fahrzeuge nachgewiesen ist. Beruhend auf einem umfangreichen Mobilitätsmodell widmete sich die Untersuchung weiteren elementaren Fragen rund um die Finanzierung, Rentabilität, Effekte auf den Fahrzeugbestand und Pkw-Neuzulassungen sowie um eine mögliche Verringerung des Verkehrsaufkommens.

Zwei autonome Formate könnten sich durchsetzen

Basierend auf den technischen Fortschritten der vergangenen Jahre leitet die Deloitte-Studie ab, dass für Flottenbetreiber vor allem zwei Mobilitätsmodelle mit elektrischem Antrieb in Frage kommen. Zum einen stehen die Chancen gut, dass sich das autonome Taxi, auch Robotaxi genannt, durchsetzt. Bis zu zwei Personen können in diesem kleinen Modell befördert werden. Das zweite und größere denkbare Format, der autonome Roboshuttle, sammelt während der Fahrt verschiedene Passagiere ein und hält an gewünschten Haltestellen. Beide Formate können Passagiere direkt von der Haustür abholen. Wenn diese Realität eintritt, würden Führerschein und ein eigener Pkw überflüssig. Im Gleichschluss hätte dies idealerweise zur Folge, dass Straßen leerer und sicherer werden. Die Hoffnungen hinsichtlich einer Verringerung des Verkehrsaufkommens sind groß: So malt eine Studie der TU München bereits eine von Autos befreite Stadt – denn ein einzelnes Roboshuttle kann zehn Pendler-Autos ersetzen.

Die Bedenken: Autonome Fahrzeuge maximieren das Verkehrsaufkommen

Doch es gibt auch negativ gefärbte Zukunftsvisionen von der autonomen Mobilität: Anstatt die Anzahl der Autos auf den Straßen zu verringern, bergen die neuen Shuttles die Gefahr, Verkehrsaufkommen, Staus und längere Fahrtzeiten zu maximieren. Denn das komfortable Chauffieren wird den privaten Pkw nicht vollends ersetzen. Wenn zusätzlich zu den vielen alternativen Fortbewegungsmitteln autonome Mobilitätsanbieter auf die Straße kommen, die gegebenenfalls günstiger und komfortabler als die Angebote des ÖPNV sind, muss die öffentliche Hand bereits jetzt Vorkehrungen leisten. Doch wie kann der ÖPNV seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den neuen Anbietern erhalten? „Der ÖPNV muss konsequent am Kunden ausgerichtet handeln. Dazu gehört die Fähigkeit, zur Hauptverkehrszeit im Ballungsraum die vielen Kunden optimal zu bedienen sowie eine verlässliche Mobilität im ländlichen Raum sicherzustellen“, betont Alexander Möller, Senior Partner im Kompetenzzentrum Transportation von Roland Berger. Eine stärkere unternehmerische Ausrichtung der Verkehrsunternehmen sei eine gute Vorkehrung. „Zwar sind Politik und Gesellschaft aktuell bereit, erhebliche Summe für den öffentlichen Verkehr auszugeben. Diese Bereitschaft hängt jedoch stark von den Steuereinnahmen der öffentlichen Hand ab. Gehen diese zurück und werden die Handlungsspielräume schmaler, müssen auch öffentliche Verkehrsunternehmen in der Lage sein, ihre Aufgaben innerhalb der Daseinsvorsorge zu erfüllen,“ so der Experte. Ein möglicher Weg für dieses Szenario: eine Kooperation kommunaler Dienstleister mit mittelständischen On-demand-Anbietern und Busunternehmen.

Der ÖPNV muss seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten

Eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger beschäftigte sich bereits 2017 mit den potenziellen Auswirkungen des autonomen Fahrens auf das Verkehrssystem. In der Untersuchung werden vier Szenarien für die urbane Mobilität in Deutschland 2030 abgeleitet, die von Anarchie bis Hypereffizienz reichen. Alexander Möller von Roland Berger erläutert, dass ein funktionierendes System auf deutschen Straßen grundsätzlich denkbar ist: „Um eine solche Effizienz zu erreichen, sind ein aktives Verkehrsflussmanagement, die kollaborative Steuerung autonomer Fahrzeuge und eine nachfrageorientierte Preispolitik des ÖPNV sowie der Taxiflotten notwendig.“ Außerdem müssen On-demand-Angebote verkehrsplanerisch und tariflich in das System des öffentlichen Verkehrs eingebettet werden, damit es nicht zu einer Kannibalisierung komme, so Möller. Mit dieser Aussage referiert er auf einen äußerst wichtigen Faktor: Die neuen Systeme dürfen den ÖPNV nicht ausbooten. Wenn sie allerdings zu einem kooperativen Geschäftsmodell bereit seien, so kommt die Studie zum Schluss, stünden die Chancen gut, dass sie eine anstehende Marktkonsolidierung überstehen würden.

Teststrecken werden umfassend erprobt

Einige kommunale Verkehrsunternehmen rüsten bereits auf und integrieren probeweise autonome Fahrzeuge in ihre Flotten. Alexander Kaczmarek, Konzernbevollmächtigter der DB für Berlin, sieht vor allem das Potenzial als Ergänzung für den Schienenverkehr, um die sogenannte erste und letzte Meile zu bewältigen. In Bad Birnbach verbindet ein Shuttlebus der DB über eine Landstraße den Bahnhof mit dem rund zwei Kilometer entfernt gelegenen Ortskern. Doch sollen zukünftig auch längere Strecken zurückgelegt werden. In Berlin wurde im vergangenem September 2019 im Glaspavillon „bauhaus reuse“ auf dem Ernst-Reuter-Platz die DIGINET-PS („Die digital vernetzte Protokollstrecke – urbanes Testfeld automatisiertes und vernetztes Fahren in Berlin“) eingeweiht. Die digitale, urbane Infrastruktur des Testfelds wurde von der TU Berlin entwickelt. Gefördert wird das Forschungsvorhaben vom Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur im Rahmen der „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren“ seit Projektbeginn 2017. Auf 3,6 Kilometern, vom Ernst-Reuter-Platz bis zum Brandenburger Tor, wird unter realen Verkehrsbedingungen das automatisierte und autonome Fahren mit seinen umfänglichen Teilbereichen erforscht und verbessert. Die Teststrecke gewährt zukünftig regionalen und überregionalen Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen die Möglichkeit, automatisiertes und autonomes Fahren in einer realen urbanen Gebietskulisse zu erforschen und anzuwenden. „Die Erkenntnisse, die in Berlin gewonnen werden, sind eine wichtige Grundlage für zukünftige verkehrspolitische Entscheidungen“, äußerte sich Bundesminister Andreas Scheuer zuversichtlich bei der Eröffnung der Teststrecke. Die Ergebnisse werden ausstehende Probleme, wie zum Beispiel technische, rechtliche sowie planerische Hürden, aufdecken und eventuell den Weg für verkehrssystemtaugliche Lösungen freigeben.

Das könnte Sie auch interessieren:

Gemeinwohl-Ziel Verkehrswende

Schneller planen, schneller bauen, weniger Streit vor Gericht: So geht effizienter Infrastrukturausbau für die Verkehrswende. Davon ist Deutschland noch weit entfernt.

weiterlesen

Karlsruhe will Vorreiter für innovative Mobilitätslösungen werden

Die Region Karlsruhe will das Verkehrsaufkommen verringern und Möglichkeiten aufdecken, die städtische Mobilität umweltfreundlicher und besser zu machen. Die Metropolenkonferenz am 3. März lädt daher renommierte Akteure aus Politik, Wirtschaft und der Mobilitätsbranche ein, um zukunftweisende Lösungen im Diskurs zu formulieren.

weiterlesen

2. Mobilitätsgipfel der F.A.Z.: Mit „langem Atem” in die Verkehrswende

Politik kann über Parteigrenzen hinweg schnell, direkt und effizient sein: Das demonstrierten zwei führende Verkehrspolitiker auf dem 2. F.A.Z.-Mobilitätsgipfel in Berlin. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Verkehrsausschuss-Vorsitzender Cem Özdemir (Grüne) versprachen vor gut 250 Verkehrsexperten aus Verbänden, Unternehmen und Behörden per Handschlag, beim Ausbau von Schiene und Radwegenetzen gemeinsam für die Vereinfachung von kompliziertem Planungsrecht zu streiten.

weiterlesen