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Berlin – 30. September 2019
Von der Haustür maximal fünf Minuten zu Fuß bis zum nächsten Angebot des ÖPNV: Ein solcher „Hamburg-Takt“ schwebt Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt, vor. Er ist davon überzeugt: Auch wenn der Weg dorthin weit ist, würde er mit Lebensqualität für die Großstädter belohnt.
„Wir müssen Klimaschutz nicht immer mit negativer Attitüde sehen, wir müssen gute Alternativen zum Auto schaffen“, erklärte Tschentscher in einem verkehrspolitischen Statement vor gut 250 Zuhörern in einem Zeltbau vor dem altehrwürdigen Hamburger Rathaus, dem diesjährigen Schauplatz der „Hamburger Klimawoche“. Die Initiative Deutschland mobil 2030 hatte gemeinsam mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sowie dem Hamburger Verkehrsverbund, der städtischen Nahverkehrsgesellschaft Hochbahn und der Hamburger S-Bahn zur Konferenz „Die Zukunft der Mobilität“ in der Metropolregion eingeladen.
Tschentscher gab zu, dass Jahrzehnte lang das Auto im Mittelpunkt der Stadtentwicklungspolitik gestanden habe. Erst in diesem Jahrzehnt habe ein Umdenken begonnen. Immerhin sei der Anteil des motorisierten Individualverkehrs in den letzten zehn Jahren von 47 auf 36 Prozent zurückgegangen. Zentrale Ausbaupläne für den ÖPNV von Morgen seien der Bau der U-Bahn-Linie U 5 sowie Erweiterungen des S-Bahn-Netzes: „Wir schaffen für 150.000 Menschen neuen Anschluss an unser Schnellbahn-Netz“, sagte der Bürgermeister mit sichtlichem Stolz. Allerdings ist der Bau der neuen Linie auf zehn Jahre veranschlagt. Bis dahin soll jedes Jahr das Bus-Netz mit attraktiven Verbindungen erweitert werden. Dabei will Hamburg Vorreiter bei der Elektromobilität im ÖPNV sein. Als erstes deutsches Verkehrsunternehmen habe die Hochbahn die Infrastruktur für die komplette Umstellung des Busbetriebes mit rund 1.500 Fahrzeugen auf emissionsfreie Batterie- und Brennstoffzellen-Antriebe geschaffen.
Dass der Weg zur klimaneutralen Mobilität nicht nur weit, sondern auch steinig ist, machten die Hamburger Verkehrsfachleute deutlich. S-Bahnchef Kai Uwe Arnecke musste einräumen, dass alle Anstrengungen für einen besseren ÖPNV angesichts der wachsenden Verkehrszahlen bislang nicht zu nennenswerten CO2-Einsparungen geführt hätten. Die „Thematik des Umstiegs“ vom Auto auf den öffentlichen Verkehr brauche „eine andere Dynamik“ befand Hochbahn-Vorstandsvorsitzender Henrik Falk. Er berichtete von einer Diskussion mit Hamburger Schülern der zehnten und elften Klasse: Diese seien zwar bestens informiert über das Klimaschutz-Thema, aber 82 Prozent wünschten sich ein eigenes Auto. Lutz Aigner, Chef des Hamburger Verkehrsverbundes verwies darauf, dass Busse und Bahnen für einen Massenansturm von Umsteigern noch nicht gewappnet sind: „Wir haben ein Kapazitätsproblem“.
Kontrovers diskutiert wurde der eine Woche zuvor verabschiedete Klimaschutzplan der Bundesregierung. Der Hamburger Bürgermeister sprach von einem „großartigen Fortschritt“ und lobte insbesondere die angekündete fortlaufende Kontrolle des Klimaschutz-Fahrplans. Allerdings werde in der Diskussion zu sehr über Ziele statt über konkrete Maßnahmen gesprochen. Im Bundesrat werde Hamburg sicher noch Verbesserungsvorschläge einbringen. Auch Klaus Bonhoff, Abteilungsleiter im Bundesverkehrsministerium, äußerte sich zufrieden über das Maßnahmenpaket, aber: „Das ist jetzt erst der Anfang”. Als entscheidende Punkte nannte der hochrangige Beamte beispielsweise die beabsichtigte verbesserte Mittelausstattung bei den Kommunen und die vorgesehenen Beschleunigungen im Planungsrecht. Verkehrsverlagerungen werde es nicht so schnell geben: „Wir können nicht über Nacht das Auto abschaffen.“ Arnaud Boehmann, Hamburger Vertreter der Fridays-for-Future-Bewegung, forderte die Politik auf, in Sachen Klimaschutz „mehr zu wagen“. Hamburg sollte bis 2035 klimaneutral werden, möglichst mit autofreier Innenstadt – „das möchte ich Ihnen an Herz legen“, sagte er an den Bürgermeister gewandt. Die Deutschland-Repräsentantin der Bewegung, Luisa Neubauer, griff dagegen zur Fundamentalkritik an den Plänen der Regierung. „Wir müssen öffentlichen Raum neu und anders denken. Kein Kind denkt daran, Tonnen von Stahl zu bewegen. Und es ist kein Naturgesetz, im Stau zu stehen und dass Autos wichtiger sind als Menschen! Das muss doch anders gehen.“
Dass es möglich ist, mit attraktiven öffentlichen Verkehr klimafreundliche Mobilität zu erreichen, beweisen die Nachbarn in der Schweiz und in Österreich. Angelika Winter, Stadtplanerin bei der Stadt Wien, und Dominik Brühwiler, Verkehrsplaner beim Zürcher Verkehrsverbund, konnten die Erfolgsgeschichten präsentieren, von denen der ÖPNV in Deutschland noch entfernt ist. Deutlich wurde: Es braucht Zeit, sogar Jahrzehnte, es kostet viel Geld, die Systeme müssen ständig optimiert werden, und es braucht einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Sinnhaftigkeit des Angebots. Winter: „Wir in Wien haben den öffentlichen Verkehr im Blut”. Brühwiler: „Wir Schweizer sind stolz auf unseren ÖPNV.“
Eindrücke von der Metropolenkonferenz
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